Studie: Ungleichwertige Lebensverhältnisse und wie die Menschen sie wahrnehmen

Wie weit die Wirklichkeit von gleichwertigen Lebensverhältnissen in allen Teilen des Landes entfernt ist, zeigt eine Studie des Berlin Instituts, die erhebliche Differenzen in den gesellschaftlichen Teilhabechancen der Bewohner in den untersuchten Regionen feststellt. Die Kernaussagen der Studie sind hier  zusammengefasst.

Welche Teilhabechancen haben wir in Deutschland? Welche regionalen Unterschiede lassen sich feststellen? Und wie empfinden die Bewohner ihre Teilhabechancen an ihren Wohnorten? Das Berlin Institut ist diesen Fragen in der Studie „Teilhabeatlas Deutschland. Ungleichwertige Lebensverhältnisse und wie die Menschen sie wahrnehmen“ (2019) auf den Grund gegangen.

Unter gesellschaftlicher Teilhabe verstehen die Autoren dabei die Möglichkeit, an gesellschaftlichen Errungenschaften in allen Lebensbereichen partizipieren zu können. Neben Wohnen und Arbeiten zählen dazu beispielsweise eine angemessene Gesundheitsversorgung, der Zugang zum Internet oder verschiedene Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Teilhabechancen lassen sich dementsprechend über konkrete Indikatoren messen und sind mit dem Ziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse eng verknüpft, denn es geht dabei auch um den Zugang zu Angeboten der öffentlichen Daseinsvorsorge und die Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebens.

Die Ergebnisse des Teilhabeatlas zeigen nicht nur Ost-West-Unterschiede, sondern auch Gefälle zwischen dem Süden und dem Norden Deutschlands sowie zwischen ländlichen und städtischen Regionen. Im Osten sind diese Defizite aber noch immer ausgeprägter als im Rest des Landes. Somit weisen vor allem ländliche Gebiete im Osten die höchsten Teilhabedefizite auf. Regionen mit den besten Teilhabechancen finden sich überwiegend im Süden Deutschlands. Dazu zählen Bayern, Baden-Württemberg und der Süden Hessens.

Wie zu erwarten ist die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen in den Städten besser als auf dem Land. Gleiches gilt für den Anschluss an das digitale Netz, dessen Ausbau auf dem Land oft noch immer defizitär ist. Im Gegensatz zu weiten Teilen des ländlichen Raumes verzeichnen Städte zudem Wanderungsgewinne durch junge Menschen, die auf der Suche nach Ausbildung und Arbeit sowie vielfältigen Freizeitmöglichkeiten und kürzeren Wegen in die Städte ziehen. Gleichzeitig sind Arbeitslosigkeit und der Anteil an Menschen, die von Transferleistungen leben, in den Städten oft höher als im ländlichen Raum. Stadt ist aber nicht gleich Stadt und dasselbe gilt für ländliche Räume. Die Studie unterscheidet sowohl reiche und attraktive Großstädte, als auch solche mit bestimmten Problemlagen. Genauso können erfolgreiche ländliche Regionen gefunden werden und solche, die vereinzelt Probleme aufweisen oder als abgehängt einzustufen sind.

Gespräche mit Bewohnern der untersuchten Regionen ergaben, dass objektiv festgestellte Teilhabedefizite zwischen den Regionen Deutschlands von diesen realistisch eingeschätzt werden, aber nicht zwangsweise zum subjektiven Gefühl der Benachteiligung führen. Die Bewohner der verschiedenen Regionen nehmen Defizite durchaus wahr, leben aber dennoch meist gerne an ihrem Wohnort, denn auch die Vorteile der Regionen werden gesehen. Diese fallen in Stadt und Land unterschiedlich aus. Während Städter beispielsweise das gute Kulturangebot und vielfältige Arbeitsmöglichkeiten loben, betonen Landbewohner die Ruhe und Natur. Einschränkend weisen die Autoren allerdings darauf hin, dass sie für die Interviews durchweg nur Personen aus mittleren und oberen Schichten finden konnten. Für Personen benachteiligter Gruppen konnten stellvertretend Experten befragt werden, die diesen Gruppen oft geringere Teilhabechancen attestieren.

Weiter wurde festgestellt, dass die Wahrnehmung der eigenen Teilhabechancen auch von der Entwicklung der jeweiligen Region abhängt. Fällt diese positiv aus, sind auch die Bewohner positiv gestimmt. Auf der anderen Seite erzeugen negative Entwicklungen leicht das Gefühl, selbst abgehängt zu sein. Auch Veränderungen im näheren Umfeld, wie Leerstand oder schließende Schulen, beeinflussen die Stimmung der Bewohner, dasselbe gilt für den Vergleich mit anderen vermeintlich besser oder schlechter gestellten Regionen. Das eine oder andere Problem wird sowohl von Stadt- als auch von Landbewohnern bemängelt, vielen Befragten gemeinsam ist aber eine Heimatverbundenheit, aufgrund derer vorhandene Teilhabedefizite als weniger gravierend wahrgenommen werden und die eine starke Verbundenheit der Menschen an ihr Zuhause zeigen. Diese Verbundenheit und Identifikation führen auch dazu, sich für die eigene Region einsetzen zu wollen. Aber auch das freiwillige Engagement ist regional unterschiedlich ausgeprägt und hängt unter anderem von den Mentalitäten der Menschen vor Ort ab.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Studie, dass die Teilhabechancen in Deutschland je nach Region große Unterschiede aufweisen und Städte und ländliche Gebiete keine einheitlichen Gebilde darstellen. Dementsprechend sollten auch regional individuelle Lösungen gefunden werden, wenn es darum geht, den Herausforderungen des demografischen Wandels zu begegnen und gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen.

>> Link zur Studie: Teilhabeatlas Deutschland (2019, Berlin Institut)

Wie bewerten Sie die Teilhabechancen an Ihrem Wohnort? 

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